Bisphosphonate
Die Therapie mit Bisphosphonaten (BP) wird seit Jahren erfolgreich bei Knochenmetastasen und anderen Erkrankungen (fortgeschrittene Osteoporose, Plasmocytom) eingesetzt und vermindert den Knochenabbau (Hemmung der Osteoklasten). Hierbei kommt es zu einer chemisch dauerhaften Bindung des BP an den Knochen, so dass die Verweildauer sehr lange (Monate bis Jahre) sein kann. Das Nebenwirkungsprofil wurde zunächst als günstig beurteilt. Durch kumulative Effekte steigt bei dauerhafter Therapie allerdings die Wahrscheinlichkeit für Nebenwirkungen. Seit 2003 sind Berichte über erste Kieferknochennekrosen (osteonecrosis of the jaw = ONJ) unter BP-Medikation bekannt und treten mit einer Häufigkeit zwischen 3 % und 15 % bei Tumorpatienten auf.
Risikofaktoren und individuelles Risikoprofil
Obgleich der genaue Wirkungsmechanismus, wie es durch die BP zu Kieferknochennekrose kommt, noch nicht vollständig geklärt ist, sind begünstigende Cofaktoren bekannt. In erster Linie sind hier Keimeintrittspforten an den Zähnen (durch tiefe Karies), an der Mundschleimhaut des Kieferkammes (Prothesendruckstellen, scharfe Knochenkanten oder nach operativen Eingriffen (Zahnentfernungen) oder durch Infektionen des Zahnhalteapparates (Parodontitis) zu nennen.
Weitere Faktoren, die die Problematik begünstigen sind Aspekte die begleitend bei onkologischen Grunderkrankung angewendet werden, wie die Chemo-, Strahlen-, Hormon-, Cortison-Therapie. Aber auch das Tragen von mundschleimhautgelagerten/herausnehmbaren Zahnersatz (Prothesendruckstelle) sowie die Mundhygiene sind Cofaktoren.
Aber auch die Art, Dosierung und Therapiedauer des verwendeten BP spielt eine Rolle. Hochwirksame Amino-BP bringen das höchste Risiko mit sich. Die Zusammenfassung dieser Faktoren ergibt damit ein sehr unterschiedliches und individuelles Risikoprofil des Patienten.
Diagnostik
Das Leitsymptom der ONJ stellt der freiliegende Kieferknochen ohne Heilungstendenz dar. Da im Röntgenbild sich teils gar keine Veränderung im erkrankten Kieferknochen erkennen lassen ist die klinische Untersuchung der Mundhöhle meist wichtiger als das Röntgenbild. Erschwerend kommt dazu, dass die betroffenen Kieferareale trotz Nekrose nicht einmal schmerzhaft sind. Häufiger dagegen tritt ein merkbarer Mundgeruch auf. Die Röntgendiagnostik kann wichtig sein, um die Ausdehnung einer ONJ zu bestimmen oder nach einer Zahnentfernung die knöcherne Durchbauung zu beurteilen.
Behandlungsempfehlungen
Das Betreuungskonzept umfasst die Prophylaxe vor und die Früherkennung nach einer BP-Therapie sowie die Behandlung der manifesten Nekrose.
1. Prophylaxe vor Bisphosphonat-Medikation
Vor einer BP-Therapie sollten durch den Zahnarzt oder Mund-, Kiefer- & Gesichtschirurgen Entzündungsherde erkannt und behandelt werden. Die Verbesserung der Mundhygiene senkt das Risiko nachhaltig und ist nach aktueller Leitlinie „medizinisch notwendig“. Abhängig vom individuellen Risikoprofil sind das Ausmaß der Behandlung und die Intensität der weiteren Nachsorge durchzuführen. Hierzu ist ein optimaler Informationsaustauch zwischen BP-Verordnendem Facharzt (Onkologe oder Orthopäde) und MKG-Chirurgen/Zahnärzten sehr wichtig. Der „Lauf-Zettel“, welcher im Internet zur Verfügung steht (www.onkosupport.de/laufzettel) ist für diese Kommunikation sehr hilfreich.
2. Prävention und Früherkennung unter Bisphosphonat-Therapie
Patienten die mit BP-Medikamenten behandelt werden sollten sich regelmäßig (min. halbjährig) bei ihrem Hauszahnarzt vorstellen. Treten Beschwerden auf (Prothesen-Druckstellen, Zahnlockerung u.a.) muss der Hauszahnarzt zeitnah (innerhalb der nächsten Tage) aufgesucht werden. Unnötige Operationen sollten vermieden werden, notwendige chirurgische Eingriffe dagegen dürfen aber nicht verzögert oder unterlassen werden. Diese werden von einen Oralchirurg oder Mund-Kiefer-Gesichtschirurg unter Sicherheitsvorkehrungen gemäß der wissenschaftlichen Stellungnahme der Fachgesellschaft (DGZMK) durchgeführt.
3. Therapie der BP-assoziierten Osteonekrose
Die Therapie der ONJ ist schwierig, der Verlauf ungewiss. In Fall von kleineren Befunden kann ein Therapieversuch mit begrenzter Abtragung und offener Nachbehandlung durchgeführt werden. Führt dies nicht zum Erfolg oder gibt es ausgedehntere Befunde, ist eine schonende, aber vollständige Entfernung der Nekrose erforderlich. Für den Heilverlauf ist eine sichere Wundnaht wesentlich, gegebenenfalls unter Verwendung von Weichgewebe aus der umliegenden Region. Falls nötig werden diese Eingriffe teils auch unter Vollnarkose durchgeführt. Die perioperative antibiotische Antibiose über die Vene und spezielle postoperative Schonkost ergänzt häufig die notwendigen Maßnahmen, sodass nicht selten eine stationäre Behandlung in einer Klinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie erforderlich wird.